Das Mountainbiken im Wald sei problematisch. Für das Wild, welches sich gestört fühle und die Waldwege, welche durch das übermässige Befahren stark abgenutzt würden. Auch würden Mountainbiker keine Rücksicht nehmen auf die Wanderer und andere Waldbesucher. Mehr noch: Die Mountainbikenden fahren abseits der Wege, was besonders problematisch sei für das Wild. Ausserdem habe das Mountainbiken in den letzten Jahren stark zugenommen, so auch das Konfliktpotential. Und nicht wenige fahren mit ihren SUV und dem Bike auf dem Heckträger an den Wochenenden in die Alpen. Das Mountainbiken sollte verboten werden.
Sind dies nur haltlose Behauptungen oder ist da was dran? Handelt es sich dabei um eigene Erfahrungen oder Mythen, welche leichtsinnig weiterverbreitet werden? Ist das Mountainbiken tatsächlich ein Problem?
Mit dieser Blog-Serie versuchen wir, mehr Licht ins Dunkel zu bringen, einzuordnen und ein paar Gedankenexperimente anzubieten.


Mythos: Nachtaktive Mountainbikende
«Freiheit kannst Du nicht suchen. Du kannst Sie auch nicht finden. Du musst sie ganz einfach nur wollen!»
Dies ist nur ein Spruch von vielen, mit welchen für das Mountainbiken geworben wird. Aber er spricht bestimmt einige Mountainbikende an. In der Tat ist es mit diesem äusserst geländetauglichen Vehikel möglich, beinahe jedes Terrain zu befahren. Auch wenn in den letzten Jahren Navigationsgeräte beliebter geworden sind und Plattformen mehr und mehr GPS-Touren zum Downloaden zur Verfügung stellen: Für viele ist es reizvoll, einfach drauflos zu fahren. Ohne genaue Vorstellung, wo man durchfahren wird. Freiheit eben. Nightrides, also nächtliche Ausfahrten mit Beleuchtung, ist eine besondere Form dieses Freiheitsgefühls. Es gibt Mountainbikenden das Gefühl, dass sie nichts aufhalten kann. Nicht die Dunkelheit, und im Winter nicht die Kälte und die garstigen Bedingungen. Sich für ein, zwei Stunden in die raue, erbarmungslose Natur stürzen und frieren, mit rationierter Nahrung im Bidonhalter und Hipbag. Ist ja auch kein Problem: Daheim unter die warme Dusche, heissen Tee schlürfen, ein paar Teigwaren in den Topf und die Behaglichkeit wieder auf Werkseinstellung zurücksetzen.
Doch Freiheit ist kein grenzenloser Begriff. Freiheit hört bekanntlich dort auf, wo die Freiheit von anderen eingeschränkt wird. Dort wo andere gefährdet werden und sogar Leben vom eigenen Verhalten abhängen. Dabei geht es nicht primär um die Waldbesuchenden, sondern um die Waldbewohner. Doch wie schädlich ist das nächtliche Mountainbiken? Was genau ist schädlich dabei? Und wie oft kommt es vor? So oft, dass es ein Problem für die Wildtiere darstellt?
Auswirkungen auf die Wildtiere
Grundsätzlich kann beobachtet werden, dass sich Wildtiere aufgrund von menschlichen Aktivitäten anpassen und ihre Aktivitätsrhythmen zunehmend in die dunkle Tageszeit verlegen. Viele Wildtiere sind insbesondere während der Dämmerungszeiten aktiv und halten sich häufig an Waldrändern sowie Lichtungen auf, wo sie Nahrung suchen. In diesen Zeiträumen waren die Tiere lange ungestört. Eine Zunahme menschlicher Aktivitäten während der Dunkelheit kann aber dazu führen, dass die Wildtiere beeinträchtigt werden. So kann es sein, dass die Wildtiere ein gutes Habitat aufgeben und mit weniger Ressourcen auskommen müssen, was den Fortpflanzungserfolg vermindern und ganze Populationen nachhaltig schädigen kann. Im Winter wird die Situation zunehmend verschärft: Es gibt weniger Nahrungsangebot und es ist in schlechterer Qualität vorhanden als im Sommer. Eine Flucht infolge eines Störrei- zes kann für diese Tiere verheerende Folgen haben.
Wir wissen also, dass das Schadensausmass erheblich sein kann. Zu einer seriösen Risikoanalyse gehört jedoch auch eine Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit. Schauen wir uns nun einmal an, wie oft Wildtiere während der Dämmerung und der Nacht durch Mountainbikende gestört werden.
Studie: Nächtliche Freizeitaktivitäten im Naherholungswald (NAF)
Die Nutzungszahlen bei den Outdooraktivitäten sind in den letzten Jahren grundsätzlich angestiegen, so auch beim Mountainbiken. Nicht nur aufgrund der Corona-Pandemie, sondern auch infolge anderer Entwicklungen wie den beliebter werdenden E-Mountainbikes. Man neigt leicht dazu anzunehmen, dass auch die Aktivitäten während der Dämmerung und bei Nacht zugenommen haben, zumindest in Wäldern von Agglomerationen. Verlässliche Daten zu dieser These fehlen jedoch weitgehend.
Eine der wenigen Studien, welche dies untersucht hat, wurde von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) durchgeführt. Dazu wurden im Jahr 2023 in ausgewählten Naherholungswäldern der Deutsch- und Westschweiz mithilfe von 23 Zählgeräten über ein Jahr lang die Besucherzahlen erhoben. Dabei wurden gezielt Naherholungswälder untersucht, in denen eine hohe Nutzung während der dunklen Tageszeit vermutet wurde. Zusätzlich wurden Waldbesuchende und Experten befragt, sowie Crowdsourced-Daten von Strava ausgewertet.
Die Resultate der Studie zeigen, dass Freizeitaktivitäten meistens im Sommer und am Tag stattfanden und der Anteil während der Dämmerung und in der Nacht im Spätherbst und Winter zunahm. Dies erstaunt kaum, weil die Tage im Winter kürzer sind und dadurch oft weniger Freizeit während des Tageslichts zur Verfügung steht. Insgesamt fanden mehr als 90% der registrierten Aktivitäten tagsüber statt, nur etwa 1% nachts. Beim mehrheitlichen Teil der nächtlichen Velofahrten handelte es sich zudem um Pendlerverkehr, da sich eine Zählstation an einer Stelle befand, welche als wichtige Strecke für Pendelnde dient. Die Ergebnisse zeigen weiter, dass die Freizeitaktivitäten hauptsächlich auf stadtnahen Waldstrassen stattfinden. Abgelegene Waldstrassen und -wege werden während der dunklen Tageszeit hingegen kaum besucht. Etwa die Hälfte von 600 befragten Waldnutzenden gab an, die Naherholungswälder während der Dämmerung und der Nacht zu nutzen, vor allem zum Spazieren und Wandern.

Monitoring anderer kantonsnaher Trails
Monitoringdaten vom Endless Trail in Sissach zeigen, dass Fahrten nach Anbruch der Dunkelheit kaum stattfinden. Der Zähler befand sich in der Mitte der Strecke und konnte nicht umfahren werden. Im Jahr 2023 wurden 9’906 Abfahrten gezählt. Da jede Zählung mit einem Zeitstempel versehen wurde, konnte ermittelt werden, wie viele Mountainbikende nach der Dämmerung unterwegs waren. Mehr noch: Es wurde auch ermittelt, wie viele es in der Stunde vor der Dämmerung waren. Waren es kurz vor Einbruch der Dunkelheit 195 Fahrten, waren es nach der Dämmerung noch lediglich 33 Fahrten. Jährlich (!), nicht täglich oder wöchentlich. Alle diese 33 Fahrten wurden am Abend, keine einzige am Morgen erfasst. Die maximale Anzahl Fahrten an einem Tag wurde am 8. Februar 2023 gezählt: Es waren vier. Dabei handelte es sich vermutlich um eine Gruppe, da die vier Fahrten zur gleichen Zeit registriert wurden. Es handelte sich also um ein einziges Störereignis.
Vergleichbare Aussagen erhalten wir auch auf Anfrage vom Bundesamt für Umwelt (BAFU), welches ein Monitoring am Oftringer Engelberg durchführen liess. Wo heute offizielle Routen für Mountainbikende ausgeschildert sind, wurde im Vorfeld an mehreren Standorten ein Monitoring mit automatischen Zählgeräten durchgeführt. Primär wurden in der warmen Jahreszeit Fahrten gezählt. ab Mitte Oktober hätten sie schnell und deutlich abgenommen. Die Nutzungsspitzen lagen an einem Wochenendtag um die Mittagszeit oder unter der Woche am frühen Abend. Spät abends und nachts wurden kaum Passagen erfasst.
Die Nacht zum Tag machen
Auswirkungen von künstlicher Beleuchtung im Wald sind gut untersucht. Man weiss, dass künstliches Licht einige Wildtiere negativ beeinträchtigt, andere hingegen profitieren davon. Künstliches Licht kann einen Anlockeffekt haben auf Tiere. Doch all diese Erkenntnisse basieren auf langanhaltende Beleuchtungen wie Lichtverschmutzungen von Agglomerationen, Beleuchtungen von Brücken und Gebäuden mit Scheinwerfern und weiteren. Kurze Beleuchtungen durch ein Licht an einem Mountainbike ist weniger gut untersucht, entsprechend wenig ist über die Auswirkungen bekannt. Das NAF Monitoring leitet jedoch aus untersuchter Literatur ab, dass Licht kaum bedeutende Auswirkungen auf die Verhaltensänderungen bei Wildtieren habe. Die Präsenz von Menschen sei ausschlaggebend.
Was wir alle daraus lernen können und sollten
Die Untersuchung der ZHAW zeigt, dass die oft zitierte 24-Stunden-Gesellschaft nicht bestätigt werden kann. Im Gegenteil: Auch in stadtnahen Wäldern herrschten nachts über lange Zeiträume ruhige Bedingungen. Die Autoren kommen zum Schluss, dass Wildtiere kaum durch Freizeitsportler:innen gestört werden. Die Zählungen vom Oftringer Engelberg und aus Sissach bestätigen zudem, dass nächtliche Fahrten kaum stattfinden. Die Behauptung, dass Mountainbikende oft nachts im Wald unterwegs seien, hält einer Quantifizierung mithilfe eines Monitorings nicht stand. Doch obschon die dokumentierte Nutzung gering war, muss darauf hingewiesen werden, dass selbst eine geringe Nutzung überproportionale negative Auswirkungen auf Wildtiere haben kann. Wer also bis anhin nach Einbruch der Nacht im Wald unterwegs war, kann einen Beitrag zur Schonung der betroffenen Waldbewohnenden leisten, indem er künftig darauf verzichtet oder zumindest einmal weniger nachts unterwegs ist. Dies gilt für Mountainbikende wie auch für alle anderen Waldbesuchenden gleichermassen – egal ob zu Fuss oder mit Velo, gehend, rennend oder fahrend oder mit Hund. Und wer trotzdem nicht verzichten will, plant den nächtlichen Besuch besser im Sommer, wenn der Energiehaushalt der Wildtiere weit weniger kritisch und genügend Nahrungsangebot für die Waldbewohner vorhanden ist. Wir würden es schliesslich auch nicht mögen, wenn sich nachts Fremde mit Stirnlampen durch unser Schlafzimmer bewegen würden, nicht wahr?!
Quellen:
https://github.zhaw.ch/pages/NAF/NAF_Monitoring/
https://www.baspo.admin.ch/de/sport-schweiz
https://www.cb.iee.unibe.ch/unibe/portal/fak_naturwis/d_dbio/b_ioekev/abt_cb/content/e58878/e337393/e337414/e483217/e1142505/AuswirkungenNachtlicht_SWILD_2007_eng.pdf